Quiet Quitting ist feige und macht uns krank 

Wir sind gestresst, haben Angst vor Krieg, Corona und zu hohen Energiekosten, wir arbeiten zu viel und bekommen Burn-out. Laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung schätzten im Januar 2021 40% der Beschäftigten ihre Situation als  stark oder äußerst belastend ein, bei berufstätigen Eltern waren es 49% und bei Alleinerziehenden 62%. 

Laut der “2022 GenZ and Millennial Survey” wollen 40% der Befragten ihren Job in den nächsten zwei Jahren kündigen, einer der Hauptgründe ist – neben der schlechten Bezahlung – dass Ihnen der Sinn fehlt. 

Das heißt, wir werden nicht nur krank durch unsere Arbeit, wir finden das Ganze auch noch sinnlos. 

Eine Lösung, die aktuell aus den USA zu uns rüber kommt soll das sogenannte “Quiet Quitting” sein. Nur noch machen, wofür man bezahlt wird, wortwörtlich “Stille Kündigung”. Dienst nach Vorschrift, nicht mehr machen, als nötig. 

Eigentlich eine gute Sache, könnte man meinen: kein Kämpfen mehr, kein Abstrampeln, kein Hustlen. Einfach arbeiten, Feierabend machen und endlich die Work Life Balance haben, von der wir seit Jahren träumen. Innerlich kündigen, äußerlich erscheinen, physisch präsent sein und jeden Monat Summe X auf dem Konto. 

Ich sage: Quiet Quitting ist faul, feige und zu allem Überfluss auch noch ungesund. 

Diane

Denn wenn wir es wirklich ernst meinen mit unserer geistigen und körperlichen Gesundheit, ist Quiet Quitting das Schlimmste, das wir uns selbst antun können. 

Wir formen unser Gehirn mit dem, was wir täglich denken, fühlen und tun, das nennt man Neuroplastizität. Also je nachdem, womit wir uns jeden Tag beschäftigen, werden andere Synapsen in unserem Gehirn gebildet, andere Autobahnen gebaut. Wir installieren feste Muster in unserem Gehirn mit den Dingen, mit denen wir uns am häufigsten beschäftigen. Die Gedanken, die wir oft denken, hinterlassen Muster. Den Nervenzellen ist es dabei völlig egal, ob wir hoffnungslose Autobahnen in unsere Gehirne bauen oder welche, die Lösungen suchen, das ist unsere Entscheidung. 

Wenn wir Quiet Quitting betreiben, wachen wir auf und denken den ganzen Tag: 

“Das mache ich heute nicht.” 

“Dafür bin ich nicht zuständig!” 

“Das sollen die anderen machen.” 

“Das geht mich nichts an.” 

“Das ist nicht meine Schuld.” 

“Das will ich nicht lernen.” 

So programmieren wir uns damit, jeden Tag, KEINE gute Idee zu haben, NICHT begeistert zu sein, NICHT zu wachsen, NICHT zu lernen und KEIN Problem zu lösen. Es ist, als würden wir jeden Tag trainieren, um unfit und krank zu werden. Wir üben uns im Wegducken, Vermeiden und wenn wir das ein paar Jahre erfolgreich machen, auch im Hassen.

Wir hassen dann unsere Arbeitgeber*innen, die Strukturen, das System, die Welt und uns. Wir erzählen uns selbst die Geschichte, dass das die einzige Möglichkeit wäre, dem System zu entkommen, der einzige Weg, um zu überleben. 

Von den negativen Autobahnen in unserem Gehirn bekommen wir psychosomatische Krankheiten, Migräne, Bandscheibenvorfälle, Rückenschmerzen und Magenschleimhautentzündung. Wir, nicht unsere arschigen Chefs und Chefinnen. 

Aber wir können unser Wunderwerk von Gehirn auch konstruktiv nutzen, wir können andere Synapsen bilden, uns dazu trainieren, unsere Selbstwirksamkeit zu stärken. 

“Es ist daher eine gute Übung, sich immer mal wieder selbst zu fragen: Was ist Arbeit für mich eigentlich? Was erlebe ich als Arbeit? Diese Reflexion gönnen wir uns kaum, denn sie macht unser Leben nicht unbedingt einfacher. Sie erfordert von uns, in die Tiefe zu gehen und zu schauen, was wir verändern können. Das kann weh tun, doch dieser Prozess führt langfristig dazu, ein erfülltes Arbeitsleben zu führen, das zu den eigenen Bedürfnissen passt.” 

Die New Work Expertin Lena Marie Glaser in ihrem Buch “Arbeit auf Augenhöhe”

Der Schmerz möchte mit uns kommunizieren. 

“Ich bekomme zu wenig Geld für zu viel Arbeit.”

“Ich werde in meinem Engagement gebremst.” 

“Ich sehe keinen Sinn in meiner Arbeit.” 

“Ich fühle mich nicht gesehen.”

“Ich erlebe meine Arbeit zwar als sinnvoll, kann in diesem System aber nichts bewirken.” 

Euer Schmerz sagt: “Ändere etwas! Tu etwas!” 

Sich wegducken und aussitzen hat noch nie zu etwas geführt, in keiner Lebenslage. 

Wir haben im Moment einen dramatischen Fachkräftemangel. Im September 2022 hat die Bundesagentur für Arbeit angegeben, fehlen 873.000 Menschen auf dem Arbeitsmarkt, so viele Stellen sind derzeit unbesetzt. 

Jetzt ist die beste Zeit für Lösungen, Ideen und Geschäftsmodelle. 

Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen müssen aktuell um Fachkräfte werben, Produkte können nicht hergestellt, Dienstleistungen nicht erbracht und Innovationen nicht erdacht werden, weil uns die Menschen fehlen. 

Wir können das Unternehmen wechseln. In die Vier Tage Woche gehen. Veränderung im Unternehmen anstoßen. Keine Meetings mehr ab 16 Uhr zulassen. Über die eigenen Bedürfnisse sprechen. Achtsamkeit ins Unternehmen bringen. Kündigen. Uns selbständig machen. Bildungsurlaub etablieren. Uns fragen, was wir eigentlich tun wollen, mit unserem Leben. Eine Weiterbildung machen. Im Unternehmen selbst die Stellung wechseln. Grenzen setzen, um sich besser auf die wirklich wichtigen Dinge zu konzentrieren. Möglichkeiten für Förderungen suchen, um die eigenen Träume zu verwirklichen. Eine Lösung für ein Problem finden und sich mit anderen Menschen vernetzen. Mehr Urlaub verhandeln. Den Berufszweig wechseln. Und vor allem, flexibel denken und sich jeden Tag fragen: was kann ich tun, um wieder zu leben und nicht mein Leben abzusitzen? Wir können selbst Synapsen in unserem Gehirn bilden, die unser Leben besser machen und das der Menschen, mit denen wir arbeiten.

Eine neue Arbeitswelt, eine Gesellschaft der Zukunft, der die dramatischsten Auswirkungen der Klimakatastrophe noch bevorstehen, braucht Menschen, die handeln. Niemand wird kommen und unsere Probleme lösen, wenn wir nicht mal genau wissen, was unser Problem eigentlich ist. 

Wer sich selbst als Mensch ernst nimmt, kann gar nicht innerlich kündigen und in einem Job fristen, der ihn nicht interessiert. Denn wir haben nicht mehr so viel Zeit, die Erde und unsere Spezies sind in Gefahr. Die Menschheit hat genug Probleme, die gelöst werden wollen. Quiet Quitting löst keines davon. 

Hier noch mehr Inspiration zum Thema:

„Arbeit auf Augenhöhe“ von Lena Marie Glaser

„Life Design: Mit Design Thinking, Positiver Psychologie und Life Loops mehr von sich in das eigene Leben bringen“ von Sebastian Kernbach und Martin Eppler

„Liebe neu denken“ von Diane Hielscher

„Flow“ von Mihaly Csikszentmihalyi

Und noch eine ganz konkrete Übung, die mir immer gut hilft:

Nehmt euch einmal am Tag für 10 Minuten Zeit und denkt a)darüber nach, was euer Problem eigentlich genau ist, benennt es so konkret uns präzise wie möglich und schreibt es auf. Und b) welche Lösungen es dafür geben könnte. Keine Idee ist zu absurd, schreibt alles auf, was euch dazu einfällt. Von „Auswandern“ zu „Zeppeline bauen“ kann alles auf die Liste. Damit trainiert ihr konstant Euer Gehirn in Lösungen zu denken, ihr stärkt euren Muskel für Visionen und weg von fruchtlosen Grübeleien. Außerdem fokussiert Ihr euch auf das, was Ihr selbst jeden Tag tun könnt. Welche Idee ist die beste? Bei welcher Lösung habe ich Schmetterlinge im Bauch? Was sagt mein Herz? Und: Was kann ich jeden Tag tun, um das wahr werden zu lassen? Diese 10 Minuten jeden Tag werden Euer Leben ändern.

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Diane Hielscher

Journalistin, Künstlerin, Autorin und Moderatorin