Wenn das Baby da ist, haben wir glücklich zu sein und vor allem haben wir „Mutter zu sein“ und zwar ab der Sekunde, in der uns ein neuer kleiner Mensch überreicht wird. Tatsächlich ist Mutter werden aber ein Prozess, eine Zeit der Transformation. In den USA nennt man diese Phase des Wandels, von der Frau zur Mutter „Matreszenz“. Was ist das und wie können wir diese Phase in unserem Leben liebevoll und ohne Druck gestalten?
Saskia Durst ist Doula, eine nicht medizinische Geburtshelferin, dreifache Mutter und Muttertätscoach. Sie hilft Frauen, Mutter zu werden. Während es in den USA bereits ein Verständnis dafür gibt, dass dies ein Prozess ist, eine Wandlung – wie die Pubertät – wird das hier bei uns noch selten als solche angesehen. Ich habe mit Saskia darüber gesprochen, wie wir diese Zeit schöner gestalten können und wie sie dabei helfen kann.
Saskia, was genau bedeutet Muttertät?
Die Muttertät (Matreszenz) ist eine tiefgreifende Umbruchsphase, die 2-3 Jahre in Anspruch nimmt. Aufgrund der körperlichen (hormonell, aber auch äußerlichen) Veränderung sind Frauen während dieses Prozesses besonders vulnerabel, wie es Fachleute bezeichnen. Das heißt, so wie wir Pubertierenden Mitgefühl und Verständnis entegegen bringen, weil sie sich zu jungen Erwachsenen entwickeln, was so viele Unsicherheiten, neue Erlebnisse und Herausforderungen mit sich bringt, müssen wir dies auch Frauen, die zur Mutter werden, entgegen bringen, damit sie sich gut in diese neue Identität „hineinentwickeln“ können. Von den körperlichen Apsekten abgesehen sind auch die Lebensbereiche Beziehungen, Beruf und Weltanschauung betroffen.
Das alles zusammen stürzt Frauen und Paare nicht selten in tiefe Krisen und ein andauerndes Gefühl von „was stimmt nicht mir“ (so wie wir es alle auch aus der Pubertät kennen). Die Ausprägungen sind individuell und nicht selten werden Postpartale Depressionen mit einer ausgeprägten Form von Muttertät verwechselt und Frauen denken erst recht, sie seien nicht „richtig“.
Warum ist es so schwer von der Frau zur Mutter zu werden?
Was alle Frauen eint, ist, dass sie sich immer wieder selbst nicht wieder erkennen. Plötzlich sind Dinge, die vorher glasklar waren, nicht mehr stimmig. Zudem erweitert sich die Gefühlsskala- die Höhen werden höher und die Tiefen werden tiefer und das manchmal innerhalb von 5 Minuten. Männer fragen sich, wo die Frau geblieben ist, die sie geheiratet haben und Frauen fragen sich, wo ihr altes Selbst geblieben ist. Eine Phase des Trauerns über all die Teile der alten Identität, die gegangen ist, wo die neue aber noch nicht da ist, ist wichtig und richtig. Oft reagiert das Umfeld eher mit Aussagen wie: „Es ist doch alles gut, ihr seid gesund, was willst du mehr?“ Ja, das stimmt einerseits und genau hieran lässt sich die Ambivalenz von Mutterschaft gut ablesen: Eigentlich wird erwartet, dass die Frau jetzt glücklich ist!
Das auszuhalten und anzunehmen ist hart. Da wir heute meist in Kleinfamilien, statt in Gemeinschaften, leben, fehlen uns außerdem echte Vorbilder und Austausch in dieser herausfordernden Zeit bzw. oft findet ein unbewusstes Vergleichen statt und all die Herausforderungen werden nicht offen geteilt. So entsteht bei Frauen der Eindruck, dass es nur bei ihnen persönlich so herausfordernd ist – was de facto nicht stimmt. Nur leider orientieren wir uns viel zu sehr an den schönen social media und Hollywoodgeschichten, die schlicht und ergreifend nicht der Realität entsprechen. So finden sich viele Frauen plötzlich in einem Tal der Einsamkeit wieder… Entweder wir versuchen um jeden Preis die Alte zu werden, gehen möglichst bald wieder arbeiten oder versuchen die „Super-Mom“ zu werden. Beides ist schade. Denn wir lassen uns nicht die Zeit, dass sich unser neues Selbst entwickeln kann. Und oft bleiben wir dann in der Entwicklung, die so viel wunderbares Potential enthält, stecken oder bleiben mit einem Gefühl von“nicht ganz stimmig“ zurück.
Was können wir selbst tun in dieser Zeit?
Wir können unser Umfeld auf diesen großen Entwicklungsprozess vorbereiten und währenddessen offen über unsere ambivalenten Gefühle und Erfahrungen sprechen. Auch mit anderen Frauen, die in ähnlichen Prozessen stecken, kann es so erleichternd sein, offen zu sagen, was sich gerade wo wie schwierig anfühlt. Der offene und ehrliche Austausch darüber, was alles mit uns los ist, emotional, körperlich, aber auch in unseren Beziehungen (denn natürlich betrifft das auch Freundschaften), schafft Verbundenheit und ein Gemeinschaftsgefühl. Und wenn eine Mama vor uns in Tränen ausbricht, weil sie gefragt wird, wie es IHR eigentlich geht, ist eine wortlose Umarmung wahrscheinlich das größere Geschenk als tausend Erklärungen, warum sie nicht weinen braucht.
Wie kannst Du uns da unterstützen?
Online begleite ich Frauen mit meinem 1:1 Muttertätscoaching durch diese herausfordernde Phase. Denn wie immer geht alles von unserem bewussten Umgang mit uns selbst aus. Außerdem gebe ich Online-Workshops für verschieden Phasen der Muttertät. Denn solche Transformationsprozesse laufen in bestimmten Phasen ab und jede braucht etwas anderes. Ich gebe online den Raum für Austausch, aber auch für Reflextion der eigenen Erlebnisse und Gefühle, um anschließend Impulse für den Umgang damit zu geben. Es braucht Liebe, Anerkennung und Verständnis für die Frauen. Rituale, ob groß oder klein. In Präsenz mache ich Closing-Rituale.
Wieso spricht hier in Deutschland kaum jemand darüber und wie ist das in anderen Ländern?
Die Pubertät musste auch erst bei uns ankommen und so ist es auch mit der Muttertät. Die Matrescence wurde erstmals von Dana Raphael in den 70erJahren erwähnt. In den letzten 15 Jahren dozieren vor Allem Aurelie Athan in Amerika, Sophie Brock in UK intensiv zu dem Thema. Und auch sonst werden weibliche Entwicklungen langsam intensiver erforscht. Bisher waren meist männliche Probanden Untersuchungsgegenstand. Und ganz langsam kommen diese Erkenntnisse endlich auch bei uns an. Deshalb habe ich meine Weiterbildung in Matrescence und ihrer Begleitung als ganzheitlichem Prozess in Kanada bei Jessie Harrold gemacht.
„Früher musste man da auch nicht drüber sprechen, da hats doch auch geklappt!“ Ist sicher etwas, das Du öfter hörst, was sagst Du da?
Ja, früher lebten wir in Gemeinschaften und Rollenbilder waren klar definiert. Seitdem sich in den letzten 50 Jahren die Rolle der Frau und der Familie wesentlich verändert hat, wir aus Gemeinschaften herausgefallen sind und zudem viel früher wieder am Arbeitsleben teilnehmen, ist es für eine gesunde Familien- und Mutterschaftsentwicklung unerlässlich, dass wir über Muttertät sprechen.