Wie wir in der Zukunft Trinkwasser gewinnen
Nachts um 3 zum Wasserhahn und wieder zurück ins Bett. Frisches Trinkwasser ist bei uns selbstverständlich. Für Ndidi ist das keine Selbstverständlichkeit. Sie kommt aus einem Küstendorf Afrikas, umgeben von Salzwasser. Was für uns der Weg zum Waschbecken ist, war für Ndidi eine tägliche Herausforderung von mehreren Stunden, wenn es schlecht lief.
Und nicht nur Küstenregionen, besonders inländische Regionen haben überhaupt selten Zugang zu frischem Trinkwasser. Rund 800.000 Menschen sterben jährlich überall auf der Welt an genau diesem Problem. Das sind 8 mal mehr als alle deutschen Covid-19 Todesfälle vom Anfang der Pandemie bis heute. Das Problem verschlimmert sich, aber unsere Technik verbessert sich. Denn die Lösung ist: der synthetische Baum.
Ndidi wont nicht mehr in ihrem Küstendorf. Sie wohnt nicht einmal mehr in Afrika. Sie arbeitet an der Virginia Tech University in den USA. Und zwar an einer Technologie, die egal in welcher Region der Erde frisches Trinkwasser generieren kann. Ohne Strom. Ausreichend für hunderte Personen. Denn Ndidi schaut an den richtigen Orten: Frisches Wasser ist manchmal nur wenige Meter unter unseren Füßen.
Mangroven retten unser Trinkwasser
Jonathan Boreyko von der Virginia Tech University in den USA hatte ein Date mit seiner Frau. Sie sahen zusammen eine Dokumentation über Mangroven Bäume. Wie diese durch eine besondere Art der Oberflächenspannung das Salz aus Meerwasser filtern und daraus frisches Trinkwasser gewinnen.
Warum auch immer Jonathan mit seiner Frau auf einem Date eine Doku über Mangroven Bäume schaute, es brachte ihn auf eine Idee. Die Erfindung – der synthetische Baum. Diese Bäume können Wasser aus den tiefsten Schichten der Erde oder aus dem Ozean saugen, an die Oberfläche bringen und es in für Menschen frisches Trinkwasser umwandeln – und das ohne Strom.
Es ist keine neue Erfindung. Um genau zu sein wurde der synthetische Baum das erste mal in Deutschland bereits 2006 in München patentiert. Dieses Patent sagt sogar unter dem ersten Beschreibungspunkt: „Sie (die Erfindung) kann für praktische Zwecke genutzt werden, etwa für die Gewinnung und das Sammeln von Grundwasser aus dem Boden in Regionen, die fern von natürlichen Wasserquellen sind.“ Was macht den synthetischen Baum von Jonathan Boreyko und seiner Forschungskollegin Ndidi Eyegheleme also zur Erfindung?
Wie ein Fernseher eine Fernbedienung braucht, so…
Ein Fernseher wird erst 100% nutzbar mit einer Fernbedienung. Und genauso wurde der synthetische Baum von Ndidi mit einem Solar-Dampf-Generator kombiniert. Daraus wird man natürlich noch nicht ganz schlau. Der synthetische Baum saugt das Grundwasser über schmale Tuben an die Oberfläche, zum synthetischen Blatt. Diese Tuben stellen die wassersaugenden Wurzeln des Baumes dar. Damit das funktioniert wird in diesen Tuben ein Sog erzeugt. Das funktioniert, indem das künstliche Blatt des Baumes, wie die Blätter eines echten Baumes kleine Nanoporen besitzt, aus denen es Wasser dampft, sobald es heiß genug ist.
Da nun Wasser im künstlichen Blatt fehlt, saugt es das aus den Tuben nach, die es wiederum aus dem Grundwasser saugen. Dieser Prozess nennt sich Transpiration und war in dem Patent von 2006 noch nicht erforscht. Und um die nötige Hitze für das Verdampfen zu erzeugen, den Dampf zu sammeln und in Trinkwasser umzuwandeln benötigt es einen Solar-Dampf-Generator.
Ein Outdoor-Experte weiß nun, worum es geht. Denn das könnt ihr selbst nachbauen. Eine Plastiktüte, eine Schnur und ein Baum in der Sonne ist alles was ihr braucht. Die Plastiktüte stülpt ihr über ein paar Äste mit Blättern und bindet die Tüte mit der Schnur zu, in nur ein paar Minuten seht ihr, wie die Sonne die Luft in der Tüte erhitzt. Das Wasser in den Blättern verdampft und der Baum schickt mehr Wasser nach. Dieses Wasser sammelt sich dann an der Innenseite der Tüte und ist naturell gefiltert und trinkbar.
Nun ist allerdings anstatt der Plastiktüte eine Solarlampe über dem künstlichen Keramikblatt, die den Prozess beschleunigt. Der Dampf steigt nach oben an die schräg-angebrachte Platte über dem Blatt, an dem sich der Dampf entlang zieht. An einem Kühlblock bildet der Dampf Tropfen, die dann direkt über einem Becken gesammelt werden. Naturell-Gereinigtes-Trinkwasser.
Jeder Quadratmeter künstliches Blatt kann pro Stunde 1,6 Liter frisches Trinkwasser produzieren, sagen die Wissenschaftler der Virginia Tech University. Das ist 3x mehr als die herkömmliche Art unter Nutzung von Solar-Dampf-Generatoren. Anders gesagt: mit 20 Quadratmetern dieser Erfindung können pro Tag über 100 Menschen in Krisengebieten gefiltertes Trinkwasser zum Überleben gewinnen. Ohne die Zufuhr von Strom. Ohne die Hilfe anderer. Einfach so.
Warum erst jetzt? Warum nicht schon vor 10 Jahren?
Was sehen wir, wenn wir einen schmalen Strohhalm in ein Glas Wasser stellen? Der Strohhalm füllt sich mit Wasser. Das Wasser in dem Strohhalm steigt sogar leicht über das Wasser im Glas. Das heißt: Kapillareffekt. Dieser Effekt tritt ein, da sich Wassermoleküle sehr gern haben, sie halten aneinander sehr gern fest. Deshalb gibt es auch die Oberflächenspannung, wenn man ein Glas mal über den Rand füllt. Allerdings mögen die Wassermoleküle andere Dinge noch lieber, nämlich Kapillare, oder besser verständlich: kleine Räume. Dann kriecht das Wasser aufgrund dieser Oberflächenspannung in diese kleinen Räume, auch wenn diese über der eigentlichen Wasseroberfläche sind. Und umso kleiner die Räume, also umso dünner der Strohhalm, umso höher kann das Wasser kriechen.
Kapillareffekt. Die Antwort, weshalb der synthetische Baum nicht schon vor 10 Jahren in jedem Entwicklungsland stand. Denn der Kapillareffekt der auch dafür verantwortlich ist, dass sich eine Küchenrolle nach oben hin mit Wasser vollsaugt, wenn man sie wieder zu nah an das Waschbecken stellt, schafft es in einem schmalen Gefäß nur wenige Zentimeter ohne Hilfe nach oben. Und erst jetzt haben Ndidi und Jonathan mit ihrem Team einen Weg gefunden Transpiration, mithilfe des künstlichen Blattes anstelle des Kapillareffektes zu nutzen, sodass der synthetische Baum nützlich sein kann.
Keine guten Nachrichten für unser Trinkwasser – noch nicht
Bisher wurde der synthetische Baum zwar vollständig aus kommerziell käuflichen Materialien gebaut, aber es müssen noch Fragen gestellt und beantwortet werden. Jonathan sagt, er hofft, dass er und sein Team in den nächsten 5 Jahren mehr Antworten haben. Zu der Frage wie viel Geld so ein synthetischer Baum für ein Krisengebiet kosten wird. Zu der Frage wie dieser synthetische Baum gebaut werden muss, um möglichst lange zu funktionieren. Und zu der Frage, was birgt der Eingriff in das Grundwasser in schon trockenen Gebieten für Folgen.
Der synthetische Baum und seine Forschungshürden
Wenn Wasser aus dem Boden gesaugt werden soll, dann müssen die Tuben vorher einmal mit Wasser gefüllt werden. Denn der Sog der Transpiration funktioniert nicht mit Luft. Damit der synthetische Baum „läuft“ will Jonathan dafür eine Art Druckbetankung vornehmen. Das würde allerdings bedeuten, dass eine dieser Maschinerien vorher immer vor Ort gebracht werden muss. Genauso um die langen Tuben in die Erde zu bekommen. Und die Installation ist nur ein Problem.
Was ist, wenn der Bezug von Grundwasser in trockenen Gebieten zu noch größeren Langzeitfolgen führt? Sodass keine Ernte mehr betrieben werden kann? Das sind aktuelle Bedenken, die das Team in den nächsten 5 Jahren ebenfalls versucht zu klären.
Der synthetische Baum hat noch mehr Potenzial
Diese Erfindung bietet allerdings auch die Möglichkeit verschiedene Filter in die Tuben einzusetzen, wobei der natürliche Sog dennoch stark genug ist die Flüssigkeit an die Oberfläche zu bringen. Während man sich nach all dieser Erklärung fragt, weshalb man nicht einfach nun schon einen Filter einsetzt und damit Trinkwasser gewinnt – dieser Filter ist nicht für Grundwasser, sondern für Öl. Es gibt für diese Erfindung nämlich noch weitere Anwendungsgebiete. Jonathan sagt es sei möglich einen Ölfilter in die Tuben einzusetzen, der Öl von Wasser filtern und trennen kann. Damit ließen sich neue Möglichkeiten erschließen ohne Stromzufuhr und ganz automatisch mit Öl verschmutztes Wasser zu filtern, wie es bei Unfällen von Schiffstankern passieren kann.
Und nicht nur, dass der Baum die Umwelt reinigen kann, wir können sogar Strom mit ihm gewinnen. Wird der synthetische Baum größer skaliert, sogar so groß, dass er zum Beispiel einem Hochhaus gleicht, könnte man das oben entstehende Wasser durch ein Rohr wieder herunterfallen lassen und Strom erzeugen auf die gleiche Weise wie Wasserkraftwerke es tun. An diesem Anwendungsbereich arbeitet derzeit sogar ein weiteres Team derselben Universität.
Der synthetische Baum
Auch wenn es einige Zeit braucht, von Jonathans Mangroven-Doku-Date bis hin zur lebensrettenden Alltagserfindung, es lohnt sich. Jonathan, Ndidi und ihr Team nehmen sich die Natur zum Beispiel und entwickeln Lösungen, die mit wenig Ressourcen Großes bewirken. Wenn ihr das nächste Mal ein Date habt, fällt euch vielleicht auch noch was Gutes ein.
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Alle Bilderrechte gehören der Virginia Tech University.
Quellen:
N.L. Eyegheleme et al. Synthetic trees for enhanced solar evaporation and water harvesting. Applied Physics Letters. Vol. 118, Juni 22, 2021, S. 251601. doi: 10.1063/5.0049904.
https://www.wwf.de/themen-projekte/fluesse-seen/wasserverbrauch/wasser-knappheit